Logo Neue Rosenkreuzer - Die Website zum Buch Impressum

Sichtbare und unsichtbare Rosenkreuzer

Betrachtet man die Äußerungen ,Außenstehender", also derjenigen, die selbst keiner rosenkreuzerischen Organisation angehören, über die Rosenkreuzer, so kann man oft eine merkwürdige Spannung feststellen. Die Diskrepanz zwischen der (bereits in Fama und Confessio angedeuteten) Verborgenheit der ,echten Rosenkreuzer" einerseits und die Vielzahl der um den Anspruch originaler Abstammung konkurrierenden neueren Rosenkreuzerorganisationen andererseits hat vielfach zu der Auffassung geführt, die ,wahren" Rosenkreuzer seien prinzipiell unsichtbar und nicht in irdischen Organisationen zu finden. Die Spannung besteht nun darin, daß diese zunächst nachvollziehbare Auffassung selten durchgehalten wird. Schließlich gäbe es konsequenterweise nichts über die Rosenkreuzer zu berichten, wenn man sie überhaupt nicht wahrnehmen könnte. Darum fühlen sich oft auch jene, die eigentlich von der Unerkennbarkeit der Rosenkreuzer überzeugt sind, bemüßigt, etwas über die Geschichte der Rosenkreuzer zu berichten, was dann doch wieder zur Beschreibung ordensähnlicher Strukturen und mehr oder weniger realer historischer Begebenheiten führt.

P. Ch. Martens hat in seinem Buch ,Geheime Gesellschaften in alter und neuer Zeit. Mit besonderer Berücksichtigung des Freimaurer-Ordens"1 zahlreiche Geheimgesellschaften, okkulte Orden und andere Vereinigungen seiner und früherer Zeiten vorgestellt - unter anderem auch die Rosenkreuzer. Seine Darstellung der Rosenkreuzer setzt mit der Geschichte ein, beschäftigt sich also zunächst mit den sichtbaren Rosenkreuzern, und verweist auf Forschungen von Ferdinand Maack.2 Martens referiert Maack im Konjunktiv. Das Ziel des Rosenkreuzerbundes sei demnach gewesen:

,,Verminderung des menschlichen Elends durch Hinführung des Menschen zur wahren Philosophie, wie sie Adam nach seinem Falle erhalten und Moses und Salomo geübt hatten.` Der Bund habe seinen Mitgliedern das höchste Wissen vermittelt und habe ihnen auch Mittel und Wege verheißen, wodurch sie bei sittlich reinem Lebenswandel frei von Krankheit und allerlei Leiden werden könnten. Entgegen den materialistischen Alchimisten, die er [der Rosenkreuzerbund] wegen des ,verfluchten Goldmachens` verdammte, habe er philosophische Studien gepflegt und sich um die Herstellung des ,Lebens-Elixiers` bemüht, das auch einige der fortgeschrittensten Mitglieder vermöge ihrer außerordentlichen philosophisch-naturwissenschaftlichen und alchimistischen Kenntnisse erlangt hätten. Dadurch seien sie körperlich und seelisch von allen Leiden und auch von den Beschwerden des Alters befreit gewesen und schließlich erst, weit über das Durchschnittsalter hoch betagt, freiwillig durch Verzicht auf das Lebens-Elixier gestorben, als sie das Leben nicht mehr begehrenswert fanden."3

Deutlich erkennbar steht hier das lateinische ,Testament" des Christian Rosenkreuz4 aus der Fama im Hintergrund. Eine Seite weiter zitiert Martens zur Beschreibung des Ursprungs der Rosenkreuzer im 13. Jahrhundert Max Heindels Schilderung der hohen Geistwesenheit Christian Rosenkreuz, dessen Ego regelmäßig auf der Erde inkarniere, und schließt daraus:

,Jeder Rosenkreuzer ist der Ueberzeugung, daß die Wiederverkörperung oder Reinkarnation eins der wichtigsten Mittel zur Entwicklung und Vervollkommnung der Menschen ist und daß auch er also dem Naturgesetz der Wiederverkörperung unterworfen ist."5

Diese Einschätzung mag für Heindel und Martens' anderen Gewährsmann, Franz Hartmann, zutreffen, doch bereits bei dem ebenfalls zitierten Ferdinand Maack ist die Sache nicht mehr so eindeutig. Die weitere Schilderung der Rosenkreuzerlehren ist eine überaus interessante Mischung der eigentlich nicht miteinander zu vereinbarenden Entwürfe Heindels und Maacks,6 zu der auch noch G. W. Suryas ,Moderne Rosenkreuzer" hinzugezogen werden. Bedeutsam ist vor allem das Ergebnis, das Martens aus dieser Geschichte zieht. Darin vollzieht sich nämlich die Wende von den ,sichtbaren" zu den ,unsichtbaren" Rosenkreuzern. Er schreibt - ausgehend von Theodor Reuß' rosenkreuzerischen Versuchen -, aus dem ,über den wahren Rosenkreuzer-Orden angedeuteten" (von dessen Existenz er offenbar tief überzeugt ist) gehe doch nun zur Genüge hervor, ,daß alle solche öffentlichen Anstrengungen, mögen sie noch so ernst gemeint sein, doch nur Surrogate des Echten und törichte Verirrungen sind, die den Weg zum wahren Rosenkreuzertume verbauen. Und es kann zur Warnung vor weiteren Verirrungen nicht oft genug wiederholt werden, daß echte Rosenkreuzer keine sichtbaren, öffentlichen Orden und Gesellschaften und Vereine bilden, ihr Rosenkreuzertum überhaupt in gar nichts zur Schau tragen und als Rosenkreuzer nur den Brüdern bekannt sind." Nimmt man die letzten Worte ernst, so löst sich genaugenommen die gesamte zuvor geschilderte Geschichte der Rosenkreuzer in reine Täuschungen und vielleicht gut gemeinte, aber letztlich doch nutzlose Irrtümer auf. Es erhebt sich die Frage, welchen Sinn das Reden von ,echten" Rosenkreuzern hat, wenn sie, sobald sie sich anschicken, in irdischen Formen manifest zu werden, zwangsläufig zu ,falschen" Rosenkreuzern und Illusionen werden. Diesen Antagonismus zu erkennen scheut man sich jedoch weithin.

Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeiten einer solchen Auffassung des Rosenkreuzertums liefert das Buch ,Die Rosenkreuzer" von Willy Schrödter.7 Bereits im Vorwort präsentiert der Autor seine Auffassung:

,Es gibt auch heute noch echte Rosenkreuzer wie in den Gründerjahren um 1610; heute wie damals sind sie aber nicht vereinsmäßig zusammengeschlossen. Echte Rosenkreuzer waren und sind Raritäten; so wie echte Raja-Yogi! Sie sind Einzelgänger, die ihrer ,Kongregation" heute überhaupt keinen Namen mehr geben und ihre Zugehörigkeit wie damals nicht zugeben, sie nicht begreifen können."8

Damit steht Schröter vor der Aufgabe, die Geschichte der Rosenkreuzerbewegung als eine Geschichte des Irrtums und des Mißverständnisses eines Romans als Realität zu entlarven. In der Tat geht Schröter genau diesen Weg. Dann kommt jedoch die Wende:

,Also gabs überhaupt keine Rosenkreuzer-Bruderschaft? Gemach, eine solche Bruderschaft gabs, gibts und wird es geben bis ans Ende der Zeiten! Bewiesen ist nur, daß es keinen inkorporierten Verband der R+C gab!"9

Zur Unterstützung zitiert Schrödter daraufhin die philosophische Aussage, daß der Geist des Menschen nicht Nichtexistierendes erschaffen könne, aus Paul Sédirs , Histoire et Doctrines des Rose-Croix ". Auch weiterhin ist Sédir für Schrödter ein wichtiger Gewährsmann, ohne die Tatsache zu beachten, daß Sédir (mit bürgerlichem Namen Yvon le Loup, 1871-1926) Mitglied des Ordre Kabbalistique de la Rose-Croix - mithin also einer sichtbaren und inkorporierten Rosenkreuzergemeinschaft war. Nach Schrödter sei die Bruderschaft der Rosenkreuzer weitaus älter als die Rosenkreuzerlegenden und seit dem ersten Schöpfungstag vorhanden. In diesem Sinn zitiert Schröter von Irenäus Agnostus (1618) die Reihe der R+C Imperatoren mit den ,Eingeweihten" Henoch, Abraham, Melchisedek, Joseph, Mose, David, Salomo, Elias, Daniel usw. - allerdings selbst nicht ganz ohne Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Zusammenstellung. Mit Verweis auf Michael Maier kommt Schrödter dann zur Deutung des Rosenkreuzes auf die Innerlichkeit:

,Erst wenn unsere Seele [...] gekreuzigt ist [...], kann ,ein Ros' entspringen`, der Geist [...] in uns reden [...] und durch uns reden [...] und handeln [...]".10

Nach einem Exkurs über Katharer und Adepten kommt Schröter zu dem Schluß:

,Geist Gottes-Besessene (lat.: ,In-Spirierte`) gab's zu allen Zeiten (und bei allen Völkern); jedoch erst ab christlicher Zeitrechnung gebührt ihnen - soweit sie Christum den Gekreuzigten bekennen - der Name ,Rosen-Kreuzer`.11

Die Äußerung der Fama, nach der sich die Brüder jährlich im Kloster zum Hl. Geist einfinden sollen, versteht Schröter als ein Treffen auf spiritueller Ebene im Astralleib. Aus der geistigen Ebene empfangen die Brüder Vibrationen und Schwingungen. Mit ihren Astralkörpern verfügen sie auch über die ihnen zugedachten Fähigkeiten der Ubiquität wie der Unsichtbarkeit und können sich sogar buchstäblich in andere Menschen hineinversetzen und ihnen einwohnen.12

Ein so verstandenes ,inneres" Rosenkreuzertum ist freilich noch etwas anderes als die Deutung rosenkreuzerischer Berichte auf eigene seelische Zustände, denn es bleibt letztlich etwas der eigenen Person fremdes. Rosenkreuzer sind hier besondere Menschen, Adepten, seien sie nun zu sichtbarer irdischer oder unsichtbarer astraler Gemeinschaft vereinigt. Anders ist es, wenn man das Rosenkreuzertum als einen Weg auffaßt, um selbst so etwas wie ein ,Adept" zu werden. Davon handelt der nächste Abschnitt.


1. Bad Schmiedeberg und Leipzig, o. J. [nach 1921].

2. Vgl. dazu im Buch "Ferdinand Maack und die Xenologie", S. 187ff.

3. Martens: Geheime Gesellschaften, 67.

4. Beschrieben im Buch, S. 25. Ein Zitat daraus ist im Material auf dieser Website.

5. Martens: Geheime Gesellschaften, 70.

6. Man denke nur an die heftige Kritik Maacks an Steiner, der ja mit Heindel geistesverwandt ist. Vgl. im Buch, S. 189.

7. Der Autor zeigt eine große Belesenheit in der okkulten Literatur über die Rosenkreuzer, allerdings gleicht sein Werk einem Florilegium und besteht überwiegend aus Zitaten. Dabei werden viele Mitteilungen ohne Beachtung ihres zeitgeschichtlichen Kontextes unkritisch entgegengenommen und diese verschiedenen Bruchstücke aus Rosenkreuzerlegenden, historischen Fakten und esoterischen Thesen entsprechend seiner Auffassung verbunden und harmonisiert.

8. Schrödter: Die Rosenkreuzer, 4.

9. Schrödter: Die Rosenkreuzer, 13.

10. Schrödter: Die Rosenkreuzer, 17, mit zahlreichen Verweisen durchsetzt.

11. Schrödter: Die Rosenkreuzer, 22.

12. Schrödter: Die Rosenkreuzer, 27.


Home | Das Buch | Die Quellen | Material | Diskussion