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Überblick über die Geschichte der Theosophischen Gesellschaften in Deutschland

In Deutschland fand die theosophische Idee in verschiedenen an okkulten Fragen interessierten Gruppen Aufnahme. Zum einen Teil waren es kleinere, logenartig strukturierte Zirkel, die ihr eine Heimstatt gewährten. Als Beispiel ist in diesem Zusammenhang die bereits im Jahr 1879 von dem Hamburger Zahnarzt Dr. Robert Wiesendanger im Hotel ,Vierjahreszeiten" in Hamburg gegründete Loge ,Isis" zu nennen. Wiesendanger war auch Mitarbeiter und Mitherausgeber der Zeitschrift ,Die Diogenes-Leuchte für Gedankenaustausch auf allen Gebieten praktischen wie geistigen Lebens", später unter dem Titel ,Die Wahrheits-Liga zur Bekämpfung von Lug und Trug" sowie Mitglied im Ehrenausschuß des Deutschen Spiritisten Vereins.1 Zum anderen Teil gab es nicht wenige, auch namhafte Personen, die sich um eine wissenschaftliche Erforschung der im Zusammenhang mit dem vielerorts aufflammenden Spiritismus populär gewordenen übersinnlichen Phänomene bemühten. Einrichtungen wie diese bereiteten den Boden für die Gründung der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland.

Helena Petrowna Blavatsky selbst kam erst 1884 nach Deutschland. In Elberfeld im Haus der Fabrikantengattin Marie Gebhard (1831-1891)2 wurde am 27. Juli 1884 in Anwesenheit von H. S. Olcott die Loge ,Germania" als Zweig der Adyar-Theosophie gegründet. Die neugegründete Gesellschaft nannte sich ,Theosophische Societät Germania" und wählte den Juristen Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846-1916) aus Hamburg zu ihrem Vorsitzenden.3

Hübbe-Schleiden hatte zunächst als Kolonialpolitiker gewirkt und sich mit einigen Schriften auf diesem Gebiet bekannt gemacht, bis er ab 1883 über die Familie Gebhard in Wuppertal in Kontakt mit der Theosophie kam, der er als Privatgelehrter sein ganzes weiteres Leben widmen sollte. Als Herausgeber der Zeitschrift ,Sphinx", die sich als ,Monatsschrift für die geschichtliche und experimentale Begründung der übersinnlichen Weltanschauung auf monistischer Grundlage" verstand und die ab Januar 1886 erschien, hatte er ein bedeutendes Publikationsorgan zur Hand. Jedoch fungierte die ,Sphinx" zunächst keineswegs als interne Mitgliederzeitschrift der Theosophischen Gesellschaft.4 Vielmehr hatte sie den Anspruch und das Auftreten einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, die sich metaphysischen Themen widmete. Überhaupt kann das Bemühen um eine wissenschaftliche Begründung der Theosophie als ein Wesensmerkmal der von Hübbe-Schleiden geprägten theosophischen Richtung angesehen werden.

Die Theosophische Bewegung in Deutschland begann unter wenig glücklichen Umständen. Schon bald nach der Gründung erschütterten die im Zusammenhang mit der Coulomb-Affäre erhobenen und durch den Hodgson-Bericht publik gewordenen Betrugsvorwürfe gegen Helena Petrowna Blavatsky die junge Gesellschaft. Frau Blavatsky gelang es offenbar auch durch ihr persönliches Auftreten nicht, die Vorwürfe in den Augen der Mitglieder zu entkräften. Die Mehrheit der Mitglieder (18 von 33) trat wieder aus, und die Theosophische Societät Germania wurde darum am 31. Dezember 1886 wieder aufgelöst.5

Neue Ansätze zur Bildung theosophischer Organisationen gingen aus dem Leserkreis der Sphinx hervor. 1892 entstand so auf Veranlassung von Hübbe-Schleiden in Berlin die ,Theosophische Vereinigung" und am 3. November 1893 der ,Esoterische Kreis". Diese Gruppierungen fanden neue Anhänger und wurden am 29. Juni 1894 in Berlin unter Beisein von Oberst Olcott zur ,Deutschen Theosophischen Gesellschaft" (D.T.G.) als Zweig der Europäischen Sektion umgewandelt. Zunehmend entstanden überall in Deutschland theosophische Logen, so in Berlin, München, Hamburg, Kassel, Düsseldorf und - wiederum durch Hübbe-Schleiden in Verbindung mit seinem Vetter Günther Wagner - in Hannover. Neben seinem Hauptanliegen, der wissenschaftlichen Begründung der Theosophie, hat sich Hübbe-Schleiden auch für das Rosenkreuzertum interessiert, wie sein Antrag auf Mitgliedschaft in dem ,Order of the Rosy Cross" vom 6. Juli 1912 belegt.6 Eine weitergehende Auseinandersetzung damit ist aber nicht bekannt geworden.

Nicht mit diesem ,indischen" Zweig, sondern mit der amerikanischen Richtung der Theosophie unter W. Q. Judge und Katherine Tingley verbunden war eine andere Gründung, die am 24. Juni 1896 unter Paul Raatz in Berlin erfolgte. Über die ,I. Nationalkonvention" dieser ,Theosophischen Gesellschaft in Europa (Deutschland)" am 30. August 1896 berichtet die Metaphysische Rundschau in ihrem ersten Band. Leiter dieser Versammlung (an der auch die als Kreuzfahrer durch Europa ziehenden Leiter des amerikanischen Zweiges, E. T. Hargrove und Katherine Tingley, selbst teilnahmen) war - hier noch ganz untemplerisch - Theodor Reuß, der auch Vizepräsident wurde. Präsident wurde Franz Hartmann, Schatzmeister Leopold Engel.7 Auch dieser Gesellschaft war jedoch keine dauerhafte Existenz beschieden. Bereits am 3. September 1897 trennte sich Franz Hartmann von K. Tingley und begründete in München seine eigene Richtung, die ,Internationale Theosophische Verbrüderung" (I.T.V.), die als ,Theosophische Gesellschaft in Deutschland" (T.G. in D.) 1898 ihren Sitz in Leipzig nahm. Dieser Zweig wurde von den Zeitgenossen meist kurz als ,Hartmannianer" bezeichnet.8 Von ihnen wird im folgenden Abschnitt ausführlicher zu berichten sein.

Die Zersplitterung der Theosophischen Bewegung in Deutschland erschien auch den beteiligten Personen unvorteilhaft. So fehlte es nicht an Versuchen, die verschiedenen Gruppen zu vereinigen. Nachdem ein diesbezügliches Unternehmen des Tingley-Zweiges unter Paul Raatz auf einem Theosophischen Kongreß am 25. August 1901 ohne Ergebnis verlief, unternahmen die Mitglieder der Berliner Deutschen Theosophischen Gesellschaft die Gründung einer Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Generalsekretär dieser Sektion wurde der erst 10 Monate zuvor in die Theosophische Gesellschaft eingetretene Dr. Rudolf Steiner.9 Mit ihm wird am 19. Oktober 1902 die Gründung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft vollzogen. Schon bald sorgen jedoch die Differenzen zwischen Steiner und der indischen Führung unter Annie Besant für Spannungen innerhalb der neuen Sektion. Steiner faßte die Theosophie vor allem als eine Methode zur Erlangung übersinnlicher Erkenntnisse auf. Dies verband er in ausgeprägter Weise mit dem Bezug auf das Rosenkreuzertum, das er als spezifisch westlichen Einweihungsweg verstand und explizit gegen den ,östlichen" Weg der Adyar-Theosophie akzentuierte.10 Hübbe-Schleiden sah bereits 1906 in einem Brief an Deinhard die Trennung sich abzeichnen:

, Steiner ist jetzt offenbar ganz Rosenkreuzer. Das Programm der Theos. Gesellschaft, was eben wir Beide allein in Deutschland noch vertreten, scheint er sachlich auch bewußtermaßen zu verwerfen. Selbstverständlich spricht er das nicht aus; und ausser mir ahnd davon Niemand Etwas. Aber es würde mich garnicht wundern, wenn er bald sein Generalsekretariat niederlegte oder es zu einer formellen Vertretung der Rosenkreuzerei auf Grund seiner esoterischen Schule umgestaltete. Von den Engländern müßte er sich dann wahrscheinlich ganz lossagen, wenigstens formell, vielleicht auch von Frau Besant."11

In diesem Punkt sollte Hübbe-Schleiden recht behalten, auch wenn die neue Bewegung sich nicht als Rosenkreuzertum, sondern unter dem Namen der Anthroposophie formierte. Ausschlaggebend für die Trennung seitens der Führung in Adyar waren aber nicht so sehr die Lehrdifferenzen in der Christusfrage, so gewichtig sie auch gewesen sein mögen, sondern vor allem die Tatsache, daß Steiner nicht zwischen seiner besonderen Lehrauffassung und seiner Tätigkeit als Generalsekretär der Deutschen Sektion unterschied. Dies äußerte sich darin, daß er jeden aus der Sektion ausschloß und jedem die Aufnahme verweigerte, der seiner besonderen Lehrauffassung nicht zustimmte.12 Eine solche Praxis widersprach klar den auf Toleranz ausgerichteten Grundsätzen der Gesellschaft. Infolgedessen entzog Annie Besant Steiner am 7. März 1913 die Stiftungsurkunde der Deutschen Sektion. Fast 90% der Mitglieder der Deutschen Sektion (ca. 2400) gingen mit Steiner zur Anthroposophischen Gesellschaft über. Hübbe-Schleiden bemühte sich - durch eine neue Stiftungsurkunde von Frau Besant autorisiert - mit den verbleibenden etwa 320 Mitgliedern um eine Neugründung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Übermäßig erfolgreich waren diese Versuche nicht. Zwar konnte Hübbe-Schleiden das provisorische Generalsekretariat zu Pfingsten 1913 an den Niederländer Johannes Ludovicus Mathieu Lauweriks (1864-1932) abgeben, doch wurde dieser bereits 1914 im Zusammanhang mit der deutsch-nationalen Gesinnung, die in Verbindung mit dem ersten Weltkrieg ausbrach, durch den deutschen Nervenarzt Sixtus von Kapff ersetzt.13 Der Krieg bringt auch Spannungen zwischen der neuen Sektion und dem Hauptquartier hervor, als Frau Besant Deutschland für den Ausbruch des ersten Weltkrieges verantwortlich macht. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen und der Kriegswirren verliert die Theosophische Gesellschaft weitere Mitglieder. Mit dem Tod von Wilhelm Hübbe-Schleiden am 17. Mai 1916 in Göttingen findet dieser Abschnitt der Geschichte der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland sein Ende.

 


1. Klatt, Norbert: Der Nachlaß von Wilhelm Hübbe-Schleiden in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Verzeichnis der Materialien und Korrespondenten mit bio-bibliographischen Angaben, Göttingen 1996, 299f.

2. Frau Gebhard hatte bereits zu Eliphas Levi Kontakte. Vgl. im Buch S. 66.

3. Der Nachlaß von W. Hübbe-Schleiden ist in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aufbewahrt. Durch die fundierten Arbeiten von Norbert Klatt (Klatt: Theosophie und Anthroposophie. Neue Aspekte zu ihrer Geschichte, Göttingen 1993; Der Nachlaß von Wilhelm Hübbe-Schleiden in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Verzeichnis der Materialien und Korrespondenten mit bio-bibliographischen Angaben, Göttingen 1996) sind diese wertvollen Materialien für die Forschung erschlossen worden. Ihnen verdankt dieser Abschnitt zahlreiche Informationen.

4. Erst später, ab Januar 1893, war sie zugleich Organ der Theosophischen Vereinigung und ab 1894 Organ der Deutschen Theosophischen Gesellschaft (Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 64).

5. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 63 f.

6. Der Adressat des Aufnahmegesuchs ist mit ,Order of the Rosy Cross" nicht eindeutig bezeichnet, jedoch läßt die Abfassung in Englisch und die weitreichenden Kontakte William Wynn Westcotts innerhalb der Theosophischen Gesellschaften die von ihm geleitete Societas Rosicruciana in Anglia als wahrscheinlichsten Empfänger erscheinen. (vgl. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 72.) Reuß' Societas Rosicruciana in Germania bestand zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr.

7. Vgl. Möller: Merlin Peregrinus 93.

8. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 66.

9. Seine Wahl erfolgte weniger aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten, sondern vor allem, weil kein anderer geeigneter Kandidat zur Verfügung stand und Richard Bresch, der ebenfalls dieses Amt anstrebte, für ungeeignet gehalten wurde.

10. Steiners Auffassung vom Rosenkreuzertum wird im Buch ausführlicher behandelt.

11. Zit. n. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 85 (Orthographie nach dem Original).

12. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 104. Zu dem Streit, der zur Abspaltung und Bildung der Anthroposophischen Gesellschaft führte, vgl. die Darstellung aus anthroposophischer Perspektive von Carl Unger: Wider literarisches Freibeutertum. Eine Abfertigung des Herrn Dr. Hübbe-Schleiden, Berlin 1913.

13. Klatt: Theosophie und Anthroposophie, 124 f.


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